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EIN LEBEN ZWISCHEN OST UND WEST– zum Gedenken an Josef L. Hromadka

14. 10. 2009 - Dr. Wieland Zademach
Zu erinnern ist an diesen großen tschechischen Theologen, dessen Todestag sich am 26. Dezember zum 40.Male jährt. 20 Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Ost-West-Gegensatzes gedenken wir damit eines Mannes, der sich sein Leben lang als Brückenbauer verstand. Josef L. Hromadka führte ein „Leben zwischen Ost und West“, wie er es autobiographisch selbst umschrieb;
weltanschauliche Gräben zu überqueren und in einem quasi stetigen „Sprung über die Mauer“1 ideologische Grenzzäune zu überwinden – darin sah er seine große Lebensaufgabe.
1947 aus der Emigration in die USA zurückgekehrt nach Prag auf seinen Lehrstuhl für Systematische Theologie war Hromadka nicht nur mitbeteiligt an der Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 in Amsterdam und hat der ökumenischen Bewegung viele Impulse gegeben; mehr noch erlangte er Bedeutung mit der Gründung der „Christlichen Friedenskonferenz“ 1958, die das erklärte Ziel verfolgte, mit der Entwicklung von Friedensstrategien einen Beitrag zum Abbau des Kalten Krieges zu leisten.
Verankert in der tschechischen Reformation
Josef Lukl Hromadka wurde geboren und wuchs auf in der nordmährischen Toleranzgemeinde Hodslavice; er war verwandt mit dem von dort stämmigen großen Historiker und Politiker Frantisek Palacky, dem „Vater des Volkes“. Über Palacky trat Hromadka ein in das Erbe der Brüderunität, dem er sein Leben lang folgte. Insbesondere die bei Palacky anschaulich zu erlebende Einheit von Theorie und Praxis eröffnete ihm einen Zugang zu Johannes Amos Comenius, der sein großes Vorbild und er dessen legitimer Nachfolger wurde. „Ändere die theoretischen Fragen in praktische und du wirst den Sinn der Schriftbesser verstehen, als wenn du dich nur in verstandesmäßigem Raisonnieren und theoretischem Sezieren mit ihr befasst“2 – an diesen Grundsatz hielt sich Hromadka ebenso wie an seine Kehrseite: Wenn die Praxis effektiver sein soll, dann muss eine gute Theorie vorhanden sein.
Diese Theorie-Praxis-Dialektik lässt ihn – ebenfalls im Gefolge von Comenius – sein Bild der Kirche als das einer Pilgergemeinschaft verstehen und ausarbeiten – als „communio viatorum“. Kirche als mobile Gemeinschaft, in der sich ein Geist der Koinonia bildet, der durch den heiligen Geist getragen wird und über die Kirchengrenzen hinaus dringt. Entsrechend bildete Hromadka während aller Stationen seines Wirkens – als Pfarrer derGemeinde Somov, als Professor, Dekan der Fakultät, in der Arbeit des ÖRK und als Präsident der CFK – solche Gemeinschaften als Hauskreise um sich herum. Als überkonfessionelle Bewegungen waren sie ihm vollgültige Kirche und als solche wichtiger als institutionelle und hierarchische Strukturen, ohne dass die geschichtliche Kontinuität der Kirche ihm deshalb verloren gegangen wäre. Kirche allerdings repräsentiert für ihn nicht den Willen Gottes, sondern sie unterliegt ihm. Aus der „Confessio Bohemica“ von 1575 waren ihm besonders zwei der dort genannten „notae ecclesiae“ wichtig: Gehorsam dem Evangelium und dem Gebot Christi gegenüber sowie Kreuz und Bedrängnis um der Wahrheit und des Reiches Gottes willen. Das ist der Damm, der die Kirche vor dogmatischer Erstarrung, vor kirchlicher Ausschließlichkeit und theologischer Spielerei bewahrtt. Fehlt die Praxis des Evangeliums, so wird die Botschaft in Lehre verwandelt und das ist das Ende des Glaubens, der nicht nur Weltinterpretation beinhaltet, sondern vielmehr noch Weltgestaltung im Sinne des Schöpfers und Erlösers.
Prophetisch orientierte Zeitgenossenschaft
In seinem Nachruf auf Hromadka nahm Helmut Gollwitzer den Freund und Kollegen mit deutlichen Worten in Schutz gegen den Vorwurf eines unkritischen Opportunismus und einer voreiligen Geschichtstheologie. Hromadkas Stärke bei der Vereinigung von Glauben und Politik war die Verbindung eines von weitreichender Bildung gesättigten theologischen Denkens mit entschlossener kirchlicher und politischer Praxis.. Dass dies alles andere als ideologisierte Theologie oder gar Apologetik bestimmter politischer Systeme war – das sollte sich noch in den letzten Monaten seines Lebens geradezu auch tragisch zeigen.
1938: Das Münchner Abkommen als Schlüsselerlebnis
Das Münchner Abkommen von 1938, das den Weg bereitete für die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren durch die Nationalsozialisten im Jahr 1939, war dür Hromadka mehr als nur ein Verrat - in ihm focussierte geradezu die ganze Krise der westlichen Demokratie; dieses Ereignis erschütterte ihn in der Tiefe seines Wesens und wurde ihm Anlass zu einer weitreichenden Neuorientierung.
Die geschwächten und degenerierten europäischen Demokratien konnten dieses Machwerk nicht verhindern; aber die Tschechoslowakei erfuhr die eigentlich gegen die Sowjetunion gerichtete Aktion am eigenen Leib – ehemalige Verbündete wurden zu Verrätern und ließen die CSR im Stich. In diesem Kampf, in dem es um die Existenz des Volkes ging, schöpfte Hromadka die Kraft aus der einheimischen Reformationsgeschichte und dem Erbe der Brüderunität. Die Garantie des Überlebens der Humanität und der Erneuerung der Menschheit, die sich in Europa in einem Chaos befinden, sieht er in der Gemeinde, die aus dem Wort lebt. Der Morgenstern der neuen Hoffnung wird über den Ruinen und Trümmern aus der Gemeinde derer aufleuchten, „die durch das Wort des Evangeliums berufen worden sind und die durch ihre Gebete und Gesänge die neue Zukunft und die neue Zivilisation vorbereiten werden“ - so schreibt Hromadka 19383. Politisch hat der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die CSR als Bedrohung der nationalen Existenz in weiten Teilen des tschechischen Volkes das Bewusstsein einer Verbundenheit mit der Sowjetunion entstehen lassen. Hromadka jedenfalls gewann die Überzeugung, dass sich ohne die Sowjetunion Selbständigkeit und Sicherheit der CSR nicht mehr gewähren ließen.
Die Suche nach Humanität und Wahrheit war es letztlich, die ihn geleitet hat bei der Beurteilung der theologischen und kirchlichen Entwicklung im Europa der dreissiger Jahre und die ihn zu der Überzeugung kommen liess, dass Europa und Amerika das Recht auf die geistige und politische Führung der Welt verloren haben. Im Anschluss an die dialektische Theologie hat Hromadka dabei von der Versöhnung her das Motiv der Verantwortlichkeit für alles weltliche Geschehen betont. Verantwortung, die in der Wahrheit und Liebe Christi wurzelt, lässt Neutralität nicht zu. Christus fordert unsere Energie und Arbeit für eine bessere Ordnung der Welt.
Für Hromadka persönlich blieb allerdings nur noch die Emigration. Mit Hilfe von Vissert Hooft, dem späteren ersten Generalsekretär des ÖRK verlässt Hromadka mit seiner Familie im Frühjahr 1939 sein Land und geht über Genf in die USA. Dort wirkt er bis 1947 als Professor für Apologetik und Ethik am Presbyterium Seminary in Princeton – gleichzeitig mit Albert Einstein.
Vom anderen Ufer aus gesehen: das globale Konzept
Aus der aufmerksamen Verfolgung der politischen Ereignisse, aus ihrer tiefen Analyse und aus der Erfahrung von München wächst bei Hromadka allmählich ein globales Konzepz, dessen Klärung und Verteidigung er von nun an für seine prophetische Aufgabe halten wird. Bereits 1940 hatte Vissert Hooft ihn aufgefordert, ein Memorandum auszuarbeiten, welches vor allem die kulturellen und geistig-geistlichen Ursachen der politischen Probleme berücksichtigt. Vom Standpunkt einer sogenannten christlichen Weltanschauung aus sollte Hromadka einen Plan entwerfen für den Aufbau einer neuen Tschechoslowakei und eines neuen Europa.
Hromadkas Konzept ist theologisch begründet und geschichtlich verwurzelt. An dem Verrat von München war ihm klar geworden, dass die liberale Demokratie allein nicht imstande wäre, den Kampf mit dem Nazismus zu gewinnen und die Fragen der zukünftigen Ordnung der Menschheit zu lösen. Aufklärerischer Optimismus reicht nicht aus, um die Umbrüche der Gegenwart zu bewältigen, dazu bedarf es einer „Theologie der Krise“. In dem Versagen der Werte der westlichen Welt und in der Krise der liberalen Demokratie sah Hromadka nahezu ein apokalyptisches Zeichen, jedenfalls das Gericht Gottes über die westliche Welt und den Untergang einer sog. „christlichen Zivilisation“. Allerdigs betonte Hromadka, dass das biblische Verständnis des Gerichts immer auch die Möglichkeit der Erneuerung und des Neuanfangs mit beinhaltet – jedoch auf neuer Grundlage.
Hromadka warnte die christlichen Völker vor der Versuchung der Selbstzufriedenheit und Selbstgerechtigkeit. In ihrem Bestreben, auch nach dem Krieg die Expansion der westlichen Welt fortzusetzen, so als ob nichts geschehen wäre, erblickte er Unbußfertigkeit und Unglauben. Das Wort Gottes fordert uns auf, einen Neuanfang zu wagen. In der Zukunft würde die Zusammenarbeit
der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten aber auch die Beteiligung der Völker der Dritten Welt nötig sein. Das heißt, dass es auch in Mitteleuropa kein Zurück mehr gibt hinter das Jahr 1938, sondern nur noch Koexistenz nach vorne. „Dreißig Jahre befasse ich mich damit, dass ich den Werten und Wahrheiten auf den Grund kommen will, die aus dem Osten kommen und ohne die wir nicht leben können...Gerade deshalb, weil es sich um die letzten Dinge des Menschen handelt, müssen wir...den Beitrag aus dem Westen erwägen, ihn mit dem Beitrag aus dem Osten auf der Waage der eigenen Seele, unserer eigenen Tradition wägen...Ost und West mag sich bei uns treffen, bei uns verständigen, damit wir aus der Tiefe unserer eigenen religiösen und sittlichen Tradition zu einer wirklichen Vereinigung des tiefen westlichen Erbes mit dem Erbe des östlichen, sowjetischen Menschen beitragen"4.
Hromadka ließ sich leiten von dem in ihm selbst tief verwurzelten Bewußtsein, dass die tschechische Geschichte sich eben anders entwickelt hatte als selbst die der unmittelbaren Nachbarn in Mittel- und Osteuropa. So ist in der Tat das tschechische Volk das einzige in Europa, welches das Christentum zweimal übernommen hat. Im 9. Jahrhundert waren aus dem Osten die Slawenapostel Cyrill und Method gekommen mit der kirchenslawischen Sprache und Liturgie, die damals für die slawischen Völker verständlich war. Zugleich aber kamen aus Bayern deutschsprachige Missionare mit der lateinischen Liturgie. Auf diese Weise erfuhr das tschechische Volk ebenso wie die Schweiz und Bayern auch die Auswirkungen der iro-schottischen Missionsbewegung, die Karl der Große auf den europäischen Kontinent gerufen hatte. Am Hofe des ersten bedeutenden tschechischen Herrschers, des Heiligen Wenzel – im Jahre 935 ermordet – galten sowohl die slawische als auch die lateinische Liturgie völlig gleichberechtigt. Im Unterschied dazugab es in Kroatien scharfe Auseinandersetzungen und in Serbien schwere Kämpfe: entweder Ost oder West, entweder orthodox oder katholisch. Ähnlich war es in Polen: radikal römisch-katholisch bis hin zur Identifizierung von polnisch und katholisch; die protestantischen Preußen wie auch die orthodoxen Russen galten als Feinde. In der böhmischen Geschichte hat sich so etwas niemals in einer solchen verabsolutierten Zuspitzung ereigner.
Die Gründungsversammlung des ÖRK
Hromadkas Rückkehr nach Prag im Sommer 1947 war der Beginn einer intensiven Deutung und Beratung der Kirche in der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg. Milan Opocensky, der spätere Generalsekretär des Reformierten Weltbundes nannte diese Aufgabe „seinen wichtigsten globalen theologischen Beitrag“. Denn „wie sollte man mit der Tatsache fertig werden, dass man nun in Mittel- und Osteuropa radikal sozialistisch und marxistisch orientierte Gesellschaften vor sich hatte? Auf diese neue Situation war die Christenheit im Grunde nicht vorbereitet. Hier hat Hromadkas Bestreben bahnbrechende Bedeutung“5.
Den Hauptvortrag auf dieser Weltkirchenkonferenz in Amsterdam im August 1948 hielt Karl Barth
zum Thema „Die cristliche Gemeinde im Wechsel der Staatsordnungen“. Zur Konfrontation, ja zu einem wahrhaft geistigen Ringen kam es jedoch zwischen dem späteren amerikanischen Außenminister John Foster Dulles und Hromadka. Dulles referierte über die Thematik „Der christliche Staatsbürger in einer sich wandelnden Welt“ und Hromadka äußerte sich über „Unsere Verantwortung in der Nachkriegswelt“. Es ging um die Grundsatzentscheidung, welche Richtung die ökumenische Bewegung von Anbeginn einschlagen sollte.
J.F. Dulles war der Überzeugung, dass sich die neu organisierte ökumenische Bewegung vorbehaltlos in den Dienst der Verteidigung der westlichen Zivilisation und ihrer Werte stellen sollte: „...in einem schicksalsschweren Augenblick, da die Zerspaltung der Welt verhängnisvoll zu weden beginnt“ hätten die Kirchen „die sittlich verantwortliche Führerschaft in der heutigen Welt zu übernehmen, um die Entfaltung der menschlichen Freiheit und Grundrechte zu steigern“. Falls die Christen diese Verantwortung nicht wahrnehmen, „kann die politische Führung kaum auf Erfolg hoffen“ bei ihrem Bemühen, die kommunistische Macht auf dem internationalen Felde zu begrenzen. „Wenn wir aber...tun, was im Augenblick getan werden kann, so dürfen wir gewiss sein, dass die gegenwärtigen Grenzen ständig zurückweichen werden“6.
Im Gegensatz zu dieser „roll back theory“ eines christlich verbrämten Kalten Krieges möchte Hromadka die gegenwärtige gesellschaftliche Situation als Gericht Gottes verstehen und gerade so ernst nehmen als ein Feld der Bewährung und der Seelsorge. Er war sich bewusst, dass die Identifizierung der Ökumene mit einem politischen und ideologischen Lager zugleich ihr Ende bedeuten würde. „Die Kirche ist dort, wo ihr Herr ist...in den eigentlichen Tiefen des menschlichen Verderbens und der menschlichen Ohnmacht; sie ist in keiner historischen Situation völlig zu Hause, aber auch durch keine Katastrophe paralysiert“. Kirche, zumal die ökumenische, ist ein wanderndes Gottesvolk, in keinem „status quo“ definitiv angesiedelt. Die Welt kann nur eine stabile Ordnung erreichen, wenn politische Visionen einander befruchten, nicht wenn sie einander schwächen oder gar vernichten wollen. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, „die überlieferten Kategorien wie Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit von neuem zu durchdenken, denn sie sind angesichts der heutigen Weltlage weitgehend leer, unsicher und zweifelhaft geworden.“7. Wenn der ÖRK nicht den Weg des Kalten Krieges und des groben Antikommunismus einschlug und auch der gewünschten Verlagerung nach New York widerstand, so war dies nicht zuletzt ein Verdienst Josef L. Hromadkas.
Die Christliche Friedenskonferenz
Die Arbeit an, in und um diese Friedenskonferenz herum bildete den Schwerpunkt, ja das Herzstück von Hromadkas Arbeit während der letzten 20 Jahre seines Lebens. Die Christliche oder auch Prager Friedenskonferenz (CFK) verdankt ihre Entstehung letzten Endes und genau besehen einer Lücke oder einem Defizit im Gefüge des ÖRK. Gehörte anfangs der „Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen“ (u.a. mit Dietrich Bonhoeffer und Heinz Kloppenburg) noch zum ÖRK dazu, so blieb nach dessen Auflösung im Zweiten Weltkrieg das Feld der konkreten Friedensarbeit der Kirchen leider weitgehend unbesetzt. Hinzu kommt, dass die Kirchen insgesamt, besonders im Gefolge des Koreakrieges, immer mehr in den Sog des Kalten Krieges zwischen West und Ost gerieten und dies naturgemäß nicht ohne Einfluss auf die ökumenische Bewegung bleiben konnte. Hromadka verstärkt zunehmend seine Mitarbeit im östlich orientierten Weltfriedesrat, was im Westen weitgehend auf Unverständnis und Missbilligung stößt. Umgekehrt kritisiert Hromadka die antisowjetische Hysterie des Westens: berechtigte Kritik an Ideologie und Gesellschaftsstrukturen im Osten werden unfruchtbar und kontraproduktiv, wenn sie geleitet sind von prinzipieller antikommunistischer Negation.
Als 1957 auf Initiative der theologischen Fakultäten in Prag und Bratislava auf der Plattform des tschechoslowakischen ÖRK eine Konferenz von Theologen und Kirchenpräsidenten aus Ost und West nach Prag einberufen wurde, war das Interesse unerwartet groß. Die Nacharbeit führte in der Folge dann 1958 zur institutionellen Verdichtung einer „Christlichen Friedenskonferenz“, die sich in erster Linie aber stets als Bewegung fühlte und verstand. Im Jahr 1961 fand in Prag die „Erste Allchristliche Friedensversammlung“ statt, die Hromadka zu ihrem Präsidenten wählte. In dieser Konferenz hatte Hromadka die Plattform, auf der er im Rahmen der Ökumene das Programm diskutieren konnte, zu dem er sich in schwierigsten Kämpfen durchgerungen hatte und das er für die Rettung Europas und der Welt für unentbehrlich hielt. Auf der Plattform der CFK wurde auf den folgenden Vollversammlungen 1964 und 1968 der Dialog über die Gefahr der Atomwaffen, über die Abrüstung, über die Grenzen in Europa, über den Sozialismus, die ungerechten ökonomischen Strukturen und den Druck in der Dritten Welt und über viele andere Fragen geführt. Jenseits der antisowjetischen Hysterie des Westens wie eines dogmatischen Realsozialismus im Osten wurden hier „Dritte Wege“ entwickelt und diskutiert, die teilweise einige Jahre später im „Prager Frühling“ von 1968 ihren konkreten Verwirklichungsversuch erlebten.
Entscheidend war immer die Friedensfrage und dabei das Verhältnis von Theologie und Politik. Was heute selbstverständlich klingen mag, war damals ein Durchbruch, als Hans Joachim Iwand sagte: „Unser Glaube an den eschatologischen Frieden mißt sich danach, wie wir uns für den Frieden auf Erden engagieren“. Es war eine lange Entwicklung bis hin zu dem Konsens, dass der Schalom Gottes die Motivation ist für Arbeit am Frieden auf Erden; dass dieses Verhältnis keine Identität darstellt, aber auch nie auseinandergerissen werden darf. Ziemlich zeitgleich mit der päpstlichen Enzyklika „populorum progressio“ kam man in der CFK zu der Erkenntnis, wie Frieden auf Erden und soziale Gerechtigkeit einander bedingen und man errang Einsichten in die Interdependenz von Wirtschaft und Politik. Politische Arbeit war fortan legitimiert und drängte von der Theorie zur Praxis der Kirchen.
Der christlich-marxistische Dialog
Die CFK verstand sich immer auch als Forum für den christlich-marxistischen Dialog. Josef L. Hromadka war einer der bedeutendsten Exponenten dieses Dialogs in den 60er Jahren. Geistesgeschichtlich gesehen mussten zwei Voraussetzungen erfüllt sein, damit es zu einem konstruktiven Dialog zwischen zwei Denkrichtungen kommen konnte, die sich im Zeitalter des Kalten Krieges wie Feuer und Wasser gegenüber standen. Diese Bedingungen waren in den 60er Jahren erfüllt – insbesondere in der Tschechoslowakei aber auch in anderen „Satellitenstaaten“ Moskaus, so dass man aus heutiger Sicht von einem glücklichen „Kairos“ sprechen kann. Zum einen setzte sich im „marxistischen Lager“ langsam aber unausweichlich die Erkenntnis durch, dass die Neugestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse in den Ostblockländern nicht, wie erwartet, dazu geführt hatte, alle menschliche Entfremdung aufzuheben. Man entdeckte, dass ein überpointierter Marxismus die Kategorien des menschlichen Individuums nicht in den Blick bekam, ja offenbar gar nicht in den Blick bekommen konnte; dass die Fragen des Menschen nach Glück und Leid, nach Schuld und Hoffnung sich aber umso drängender zu Wort meldeten, auch wenn die Befriedigung der ökonomischen Grundbedürfnisse gesichert war. Zum anderen befreite sich die Theologie allmählich aus einer lange vorherrschenden personalistischen und existentialistischen Engführung, bei der Probleme von Gesellschaft und Geschichte nur entfernt am Rande auftauchten. In dem Maße, in dem die Theologie Probleme der Gesellschaft, ihrer geschichtlihen Entwicklung und zukünftigen Gestaltung neu oder wieder in den Blick bekam, wurde sie fähig, den Marxismus als Gesprächspartner überhaupt erst wahrzunehmen; dann allerdings wurde der Dialog aber auch unausweichlich.
Hromadka ging es niemals um eine Synthese zwischen Christentum und Marxismus. Immer wieder hat er betont, „dass der christliche Glaube keine Weltanschauung und kein sozialpolitisches Programm ist und dass es nicht erlaubt ist, das Ringen zwischen Christen und Marxisten auf die Ebene der Weltanschauung und des politischen Handelns herabzuziehen. Die positive Einschätzung der marxistischen Theorie und Praxis hilft aber, die heutige Lage, in der wir uns nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt befinden, genauer und realer zu sehen“8. Dementsprechend hat Hromadka immer davor gewarnt nun den Fehler derjenigen umzukehren, welche die liberale Demokratie gleichsam als Abglanz des Reiches Gottes betrachtet und legitimiert haben: „Hüten wir uns vor dem Gedanken, dass eine solche verantwortungsbewußte Gesellschaft, wie wir sie im Sinne haben, mit der christlichen Gesellschaft identisch sein wird. Eine christliche Gesellschaft gibt es nicht, hat es niemals gegeben und wird es niemals geben, ebenso wie es keinen christlichen Staat, keine christliche Volkswirtschaft und keine christliche Zivilisation gibt. Die neue Welt und der neue Himmel, den wir in unserem Glauben erwarten, werden nicht Werk von Menschenhand, sondern Schöpfungen von Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sein. Und das sind in vollem Maße eschatologische Begriffe. Die christliche Zivilisation ist eine Illusion, und jeder Versuch, in ihrem Namen sogenannte unchristliche Bestrebungen, soziale und politische Ideale zu bekämpfen, ist Selbstbetrug und für die Kirche selbst eine schwere Gefahr“. Selbstbetrug, ja ideologische Verblendung auch deshalb, weil diese falsche Selbstgerechtigkeit uns nur zu leicht den Blick dafür trübt, „dass der Herr der Geschichte mächtig genug ist, das, was wir verraten haben, durch andere Gruppen und Kanäle für die Zukunft zu bewahren“9. - Wie angesichts dieses glasklaren Sachverhaltes gegen Hromadka immer wieder der Vorwurf erhoben werden konnte, er sei Apologet des Kommunismus oder betreibe gar marxistische Theologie, das war und ist mir vollkommen unerfindlich! Dieser Vorwurf fällt voll auf die betreffenden Kritiker zurück und entlarvt nur deren kategoriale Enge in der Systemverhaftetheit ihres eigenen Denkens.
1968: Desaster und Krisis als Chance
Hromadka hat die Demokratisierung und den Erneuerungsprozess, der 1968 eingeleitet wurde, von ganzem Herzen begrüßt und konnte guten Mutes der Überzeugung sein, dass er durch seine Tätigkeit und durch sein Zeugnis dazu beigetragen habe. Nach der Besetzung der CSSR durch die fünf sozialistischen „Bruderstaaten“ im August 1968 erkannte Hromadka sofort, dass die Glaubwürdigkeit, ja sogar die Existenz eines sozialistischen Modells auf dem Spiel stand. In einem Memorandum zum 21. August hat er seine Befürchtungen nachdrücklich zum Ausdruck gebracht: „Ich befürchte, dass sich in unserem Volk etwas nicht Gutzumachendes abgespielt hat; der Verlust der Liebe und Verehrung für das sowjetische Volk läßt sich für lange Jahrzehnte nicht bewältigen. Der Bund der tschechoslowakisch-sowjetischen Freundschaft wurde zerstört. Es besteht die Gefahr, dass sich die Liebe unseres Volkes in Hass umwandelt und dass unsere nächsten Freunde als Feinde
erscheinen.“ Persönlich empfand Hromadka „Enttäuschung, Leid und Scham" als „innigstes Gefühl: Es gibt in meinem Leben keine größere Tragödie als dieses Ereignis“ 10.
Wenn Hromadka bekennt, dass sich ihm der 21. August 1968 „mit wesentlich düsteren Farben eingeprägt hat als der 15. März 1939“ 11, dann zeigt sich darin deutlich die Kontinuität in seiner politischen Geschichtsschau. War es 1938/39 der Verrat der Westmächte, der schließlich die zu erwartende Okkupation durch Hitlerdeutschland ermöglicht hatte, der ihn betroffen machte, so schmerzte ihn hier untröstlich der Überfall der befreundeten Schutzmacht zur Rettung vor der angeblichen Konterrevolution; seine bei den Ungarnereignissen von 1956 noch gehegte Hoffnung in das humanistische Potenzial eines Sozialismus auch sowjetischer Prägung wurde nun endgültig zuschanden. „Hat nicht der 21. August genau dem Prinzip der friedlichen Koexistenz seinen Inhalt und seine Perspektiven geraubt – ein Prinzip, das so häufig auch in unserer Arbeit proklamiert worden ist?“ Nämlich dann, wenn ein Staat „sich das Recht nimmt, despotisch gemäß seinen eigenen Interessen und Ideen zu entscheiden und zum Schiedsrichter dessen wird, was erlaubt ist und was nicht, was richtig und was falsch ist; weder internationale Gesetze noch die Charta der Vereinten Nationen reichen aus, um die Flut zu bändigen“12. 35 Jahre später, beim völkerrechtswidrigen Krieg der USA gegen den Irak unter George Bush und seiner „Koalition der Willigen“ hätten Kommentare wohl kaum anders lauten können und dürfen..
Unter schwerstem Ringen hält Hromadka aber auch in dieser Situation seiner theologischen Geschichtsschau konsequent die Treue. Das Vertrauen in die CFK stand auf dem Spiel. Ganz im Stile seiner lebenslang eingeübten Ideologiekritik analysiert er: „Wir arbeiten auf zwei Ebenen, die manchmal innerhalb unserer Bewegung in Konflikt geraten, manchmal zusammenführen und manchmal vollkommen verschiedene Wege gehen...Wir betrügen uns oft selbst. Wir verschleiern mit unserem christlichen Vokabular entweder unsere politischen Vorurteile und nationalen Interessen oder unsere rein persönlichen Auffassungen. Vielleicht tun wir das alle. Ich schließe mich selbst nicht aus. In der kommenden Zeit unserer Tätigkeit werden wir herausgefordert – wenn wir eine fruchtbare Tätigkeit für die heutige Menschheit leisten wollen -, wesentlich strenger gegenüber uns selbst zu sein“13
Die politische Krise von 1968/69 hat die CFK an den Rand des Zusammenbruchs getrieben und auch Hromadka selbst schwer zugesetzt. Inmitten heftiger Auseinandersetzungen während einer Tagung in der DDR erlitt er einen Herzinfarkt, arbeitete zunächst aber dennoch weiter, um auf mehreren Tagungen seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Krank und schließlich doch resignierend reichte er seinen Rücktritt ein – er wolle keinen Svoboda spielen: der damalige Staatspräsident versuchte in einem schillernden Vermittlungskurs noch einiges vom Reformkurs Alexander Dubceks zu retten...Hromadkas Warnungen vor Unbußfertigkeit und Rechthaberei und seine Mahnung zu differenzierter Analyse blieben ungehört. Bald nach seinem Tod am 26. Dezember 1969 kam es zu einer Spaltung innerhalb der CFK, die nie mehr geheilt und überwunden werden konnte.
Hromadkas Bedeutung in heutiger Perspektive
Wie recht Hromadka mit seiner Einschätzung der Ereignisse von 1968 hatte, das zeigt sich deutlich sogar an der späteren Beurteilung seiner eigenen Person und Theologie. Auch hier stellt das Jahr 1968 einen deutlichen Bruch in der Rezeptionsgeschichte dar. Der dadurch wieder bestärkte und neu aufkommende Antikommunismus im Westen wie im Osten – und hier noch hinzukommend das
mangelnde ökumenische Bewußtsein – macht es sehr schwer, durch dieses Feindbild hindurch Person und Werk von Hromadka richtig einzuschätzen.
Heute vierzig Jahre später – bekanntlich das „Alter des Verstehens“ - sollte eine differenzierte Beurteilung Hromadkas eher möglich sein. Sicher fehlen bei ihm noch wesentliche ökonomische Einsichten, die bei Gollwitzer dann vorhanden sind. Dafür weist seine Verwendung des Begriffes „Klassenkampf“ über die marxistische Analyse hinaus und bezeichnet ein globales Ringen darum, dass nicht nur die reichen Völker über die Zukunft entscheiden, sondern dass Milliarden von Menschen Garantien gegen Hunger und politische Machtlosigkeit, gegen mangelnde Bildung und schleichenden Tod erhalten. Hromadkas Analyse der europäischen Verhältnisse, aber auch der internationalen Beziehungen hat sich weitgehend bestätigt und ihre Tragfähigkeit bis heute bewährt.
Christen und Kirchen hingegen müssen sich fragen lassen, wann sie endlich anerkennen, dass es in der Arbeiterbewegung ein berechtigtes Streben nach sozialer Gerechtigkeit gegeben hat, um die der Marxismus sich bemühte. Ist unvoreingenommen ein Dialog darüber möglich, was von Marx, was vom Marxismus und vom Sozialismusideal Bestand haben wird, ja in die Zukunft hineinreichen sollte? Kulturgeschichtlich entstammen beide Bewegungen – Christentum wie Sozialismus – derselben Tradition und haben zwei wesentliche Aspekte gemeinsam: universale Offenheit und eschatologische Sehnsucht. Christentum versteht sich als ein Angebot an alle Menschen und Sozialismus sucht nach einer Lösung für alle „Verdammten dieser Erde“. Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus ist beiden fremd, Fundamentalismus und Fanatismus war immer eine Gefahr für beide. Für die Menschen der Gegenwart ist das Wichtigste die Zukunft, eine eschatologische Sehnsucht nach der Vertiefung des Humanen oder der Rettung des Menschen in und mit seinem Kosmos. Aufklärung und jüdisch-christliche Tradition können ihre Wesensverandtschaft nicht ungestraft leugnen.
Fachleute wie J.M. Lochman und M. Opocensky stellen heute Josef Lukl Hromadka in eine Reihe mit den großen Tschechen Jan Hus, Jan Amos Comenius oder Jan Karafiat. Als bedeutendster Sprecher der Christenheit in den sozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas und in seiner Vermittlerrolle für den Beitritt der orthodoxen Kirchen zum Weltkirchenrat sowie als ein theologischer Interpret des Marxismus und Sozialismus war Hromadka Grenzgänger und Brückenbauer zwischen Ost und West, sein Sprung über viele Mauern kann als Beispiel dienen bei der Beseitigung unendlich vieler „Mauerreste“, die als Stolpersteine noch im Wege liegen auf dem Weg zum „Gemeinsamen Haus Europa“. Sein wichtigsten Vermächtnis:Evangelium ist immer Ideologiekritik - „Dritter Weg“ zwischen allen „Ismen“. Der Weg Gottes zum Menschen in dessen von ihm selbst geschundener Welt über die Grenzen von allen Kirchen, Religionen und Weltanschauungen hinaus. Christliches Zeugnis in seiner Dimension der Schöpfungsökumene als Antwort auf eine alles nivellierende konsumfetischistische Globalisierung – dafür finden sich bei Hromadka Bausteine in großer Zahl zum Aufbau einer demokratischen und freien, sozialen und gerechten Gesellschaft.


Anmerkungen:
1. Zitiert nach: Milan Opocensky, Sprung über die Mauer. Ein Hromadka-Lesebuch, Wuppertal 1991, S.67.
2. Zitiert nach: Josef Smolik, Josef L. Hromadka. Biographische Skizze, in:„Begegnungen“ der Ev. Akademie Mühlheim/Ruhr, 4,89, S.12.
3. Zitiert nach Smolik, a.a.O. S.12.
4. Die Sendung der Tschechoslowakei im heutigen Europa 1945, zitiert nach Milan Opocensky, a.a.O. S.171.
5. Josef Lukl Hromadka – ein Theologe von ölumenischer Weite, in: Ökumenische Rundschau, Frankfurt/M. 1989, Nr.3, S.266.
6. Zitiert nach: Werner Wittenberger, Die Weltgeschichte als Weltgericht. Hromadkas Amsterdamer Rede 1948, in: 50 Anniversary of the WCC, Challenges of Remembering. To the Honour of J.L. Hromadka, Praha 1998, S.77.
7. A.a.O. S. 27.
8. Die verantwortliche Gesellschaft, in: M. Opocensky, a.a.O., S.222.
9. A.a.O., S.215 bzw. 234.
10. Memorandum zur Intervention am 21. August 1968, zitiert nach M. Opocensky, a.a.O, S. 412f.
11. A.a.O., S.423.
12. A.a.O., S.428.
13. A.a.O., S.429f.


Autorennotiz:

Dr. Wieland Zademach, Jahrgang 1943, Pfarrer der Ev..-Luth. Kirche in Bayern. 1971 Promotion: „Marxistischer Atheismus und die biblische Botschaft von der Rechtfertigung des Gottlosen“ (Düsseldorf 1973). Gemeindepfarrer in Oberfranken. Von 1989 bis 1997 Geschäftsführer der ACK in Bayern, danach Ökumenebeauftragter im Kirchenkreis Nürnberg. Im Ruhestand Dozent an der Seniorenuniversität in Frankfurt/Main.
Buchveröffentlichungen: „Eurokommunismus – Weg oder Irrweg“, München 1979. „Glasnost und Perestroika – Hoffnung für diese Welt!, Essen 1987. Hrsg. von „Reich Gottes für diese Welt – Theologie gegen den Strich“, Waltrop 2001; „Treue zur Tradition als Aufbruch in die Moderne“, Waltrop 2005; „Kirche der Zukunft – Kirche in der globalen Welt“, Frankfurt 2008.
Mitglied im Redaktionsbeirat von CuS.

 

 
 
 
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