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Fordern Sie einfach „Fair News“

15. 12. 2005 - K. Friedrich Schade
K. Friedrich Schade (1)

Fordern Sie einfach „Fair News“

Zeige mir deine entwicklungspolitische Publizistik –
und ich weiß, wo die Entwicklungspolitik deines Landes angekommen ist(2)

Ich bedanke mich für die Einladung, heute hier zu Ihnen sprechen zu dürfen.
Es ist mir eine Ehre, hier mitten im Herzen Europas ein paar Erfahrungen und Gedanken Ihnen vortragen, mit Ihnen austauschen zu können.
Wir wenden uns dabei einer Thematik zu, die sich zwar eher abstrakt der globalen Zukunft widmet, für die aber Böhmen - Böhmen als ein von der machtpolitischen Größe her eher bescheidener Raum, gleichwohl großen historischen Reichtums – für die Böhmen mehr einbringt
an Geist,
an wissenschaftlichem Interesse,
an der Entfaltung politischer Konzepte und ihrer Institutionalisierung,
an religiösen Aufbrüchen und
an sprachlichem und kulturellen Miteinander, aber auch
an Leiderfahrungen,
ich wiederhole, für die Böhmen mehr einbringt, als ein persönlicher, biographisch gefärbter Beitrag zusammenzutragen und Ihnen zuzutragen vermag.(3)

Sollten wir nicht besser und so naheliegend zu einer Ihrer vielfältigen belebenden Quellen greifen und z.B. uns von Franz Kafka mit der Erzählung „Bericht an eine Akademie“ inspirieren (4) lassen?



DISKURS ALS AUSGANGSPUNKT – VIER THESEN

Meine Thesen, zu denen ich sowohl durch wissenschaftliche als auch politisch-publizistisch-praktische Arbeit gelangt bin, sind einfach. Ich nenne vier inhaltlich durchaus verknüpfte Punkte, die auch als Sequenz zu denken sind:


1.Ohne globales Miteinander hat die Menschheit keine Zukunft.

2.Die Konfliktkonfiguration Nord-Süd insbesondere erfordert dabei eine politische Antwort und Lösung.

3.Dafür fehlt uns eine emanzipierte, erwachsen gewordene, demokratisch legitimierte Entwicklungspolitik, die partizipativ begriffen und demokratisch legitimiert, verantwortet und solidarisch verortet sein muss.

4.Der Weg zu dieser integrierten Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik, die natürlich die Schöpfung zu erhalten als Grundlage Allens in sich zu tragen hat, kann nur und muss auf dem Boden eines öffentlichen, bürgergesellschaftlichen Diskurses erfolgen.



DIE LEIDENDEN SETZEN LEITLINIEN UND ERÖFFNEN HORIZONTE

Politisch relevante Erkenntnisbildung – und dazu gehören auch revolutionäre Ansätze –,solche Erkenntnis erwächst aus leidvoller Erfahrung. Es wundert daher nicht, dass z. B. in Deutschland (5) ein Prozess des Umdenkens in der Nord-Süd-Frage durch die Leidenden in den Entwicklungsländern angestoßen, ja der Mehrheitsgesellschaft abgerungen, fast erzwungen wurde.

Diese Leidenden artikulierten sich u.a. als Befreiungsbewegungen - in diesem Falle vertreten durch die jungen Kirchen im Weltrat der Kirchen - als auch durch die Benachteiligten in Deutschland, sich artikulierend durch die Außerparlamentarische Opposition (APO), nicht zuletzt auch getragen von einer Solidarität mit den Opfern des Vietnamkrieges.
Das waren die bewegenden Reformen in den sechziger Jahren.

Der Süden verzichtete damals im sogenannten Moratoriumsvorschlag der Ökumenischen Vollversammlung für zunächst einmal zehn Jahre auf jedwede Transferleistungen seitens des Nordens, wenn dieser in dieser Zeit alle Kraft einem Prozess der Neuorientierung und der Gestaltung eines neuen Miteinanders von Nord und Süd zuwende – eines Miteinanders, das frei von ständiger Schadwirkung der Reichen auf die Armen der Welt sein solle. Und die APO postulierte, dass Gerechtigkeit als zentrale politische Aufgabe und Grundlage solidarischen Handelns unteilbar sei und deshalb als Kultur in der eigenen Gesellschaft initiiert und begründet sein müsse.


DREI AUFGABEN ZUR GEISTIGEN BEFREIUNG DES NORDENS
ZUM WOHLE DES SÜDENS

Es ist in Deutschland der Kreis der protestantischen Kirchen gewesen, der – nolens, volens –diesen Forderungen aus den Entwicklungsländern, in diesem Falle vertreten durch die Ökumene, nachkam und sich damit drei miteinander verbundenen Aufgabenbereichen im gesellschaftlichen Kontext zuwandte:

1.Aufbau bzw. Stärkung sog. NRO – ich spreche hier von NRO als Nicht-Regierungs-Organisationen statt der sonst üblichen Abkürzung NGO ( Non Governmental Organization) – also Aufbau von NRO im Entwicklungshilfebereich – aber auch als Akteure der Reform des Geber-Nehmer-Verhältnisses.

2.Qualifizierung der Medien in der Wahrnehmung der Entwicklungsprobleme

3.Bewusstseinsbildung v. a. der jungen Menschen durch Bildungsmaßnahmen.

Ich hatte die Idee, die Eigeninitiative, die Chance, vielleicht auch ein bisschen Verwegenheit, Ende der 60er Jahre vom Entwicklungsministerium aus eine „Entwicklungsarbeit Inland“ als entwicklungspolitische Innovation auf den Weg zu bringen – ein bildungspolitisches Unterfangen, dass mich zeitlebens auch im Kontakt mit UNO und der EU mehr als nur nebenher beschäftigt und aufgewühlt hat, worüber zu sprechen ein eigenes Referat erforderlich wäre. Ich will mich auf die Punkte 1 und 2 konzentrieren.


I


DIE NRO IM ENGAGEMENT – SICH SELBST IM WEGE

Lassen Sie mich bezüglich der NRO gleich mit meiner zugegeben pauschalierenden Quintessenz beginnen, bevor ich sie im einzelnen erklärend beschreibe.
Die NRO - ich habe hier nur die in der engeren Not- und Entwicklungshilfe tätigen im Blick - , die NRO haben sich nicht als entscheidend positiver Faktor in der gebotenen Neugestaltung der Beziehungen des Nordens zu dem Süden erwiesen. Sie sind schlechte Helfer der Entwicklungspolitik. Sie stehen sich selbst im Wege, weil allzu oft der Anspruch, die Rolle des barmherzigen Samariters zu erfüllen, demokratisch begründeter Solidarität in die Quere kommt.

Wieso? Ich benenne einige Gesichtspunkte, ohne hier eine soziologische Theorie entfalten zu wollen.
Die meisten NRO sind nicht demokratisch basisnah strukturiert. Viele, v.a. die mächtigen, verdienen nicht einmal die Bezeichnung „Nichtregierung“. Sie sind oft nur quasi NRO( QUANGOS) und verwalten lediglich öffentliche Gelder oder ihnen von Großorganisationen zugewiesene Mittel in entsprechender Abhängigkeit, gleichsam Frühformen des Outsourcing oder scheinbar pluraler Ausschmückung etatistischer Entwicklungspolitik. Als Spendenorganisationen leben sie in der Tat von Spenden, ohne aber dem Spender ein für ihn wirksames Mitspracherecht einzuräumen.

Ja, was sind die NRO nun im besseren Fall des „Nongovernmental“(6)? Die NRO weisen sich bereits in der Frage ihrer Bezeichnung durch einen hohen Grad von Unreflektiertheit aus. Unbedachtes Handeln und Firmieren aber kann zur Falle auf dem Weg zu einer Reform der Entwicklungspolitik werden.

Neuerdings z. B. schmücken sich die NROs gerne mit angeblich „zivilgesellschaftlicher“ Qualität, die sie ermächtige, für die Bürger aufzutreten, für sie zu sprechen oder gar zu entscheiden – möglichst auf höchster Ebene gar der UNO. Dazu müssen Sie, meine Damen und Herren, wissen, dass die Bezeichnung zivil im Deutschen den Gegensatz zum Militär, zum Kriegerischen bezeichnet – eine Bezeichnung, die im Kontext der Entwicklungspolitik bestimmt nur in wenigen, neuerdings allerdings häufigeren Krisenbewältigungen mit Einsatz militärischer Kräfte abgrenzend Sinn macht.

Diese Abgrenzung ist aber gar nicht die Absicht der NRO in der Wahl der Bezeichnung zivil. Nein, die NRO haben sich in der bequemen Mode der Übernahme von Anglizismen einfach des englischen civil im Kontext von civil-society bedient– dort immer als Attribut von society zu verstehen -, sie bedienen sich eines Adjektives, das nun wiederum eindeutig als bürgergesellschaftlich zu verstehen und zu übersetzen ist.

Ich habe das bewusst als ein – zugegebener Maßen erhebliche Sensibilität beanspruchendes - Beispiel herausgegriffen, um zu demonstrieren, wie NRO gerade in häufigen Fällen notwendigerweise subtiler entwicklungspolitischer Gratwanderungen eher abstürzen als in der klärenden Qualifizierung nach oben steigen. Vernarrtheit in die Aufgabe? Bequemlichkeit Vernebelungsabsicht?

Mit Entwicklungshilfe der NRO verbinden wir, volkstümlich vereinfacht, den eigentlichen Hilfegedanken, die Barmherzigkeit, Caritas, direkte Hilfe von Hand zu Hand, von Herz zu Herz. Jede Organisation will schnell, so viel wie möglich helfen, die Not ist unermesslich. Darf dann in den Spendenappellen in grob plakativer Weise vereinfacht, übertrieben werden – bis hin zur Verzerrung und Verfälschung?

In einer pluralen Gesellschaft engagieren sich vielfältige Einrichtungen. Sie müssen, um helfen zu können, sich behaupten. Dabei konkurrieren sie ähnlich wie profitorientierte Betriebe um eine Maximierung ihres Spendenaufkommens, sie kämpfen um Marktanteile– nicht um eine Optimierung der Hilfestellung, die ja auch nur rudimentär überprüft wird. Wo bleiben dabei all die entwicklungspolitischen Aufgabenstellungen, für die in der akuten Not kein Blick, keine Zeit sein darf? Hangeln wir so von Elend zu Elend, ohne begreiflich zu machen, was – von „reinen“ Naturkatastrophen abgesehen – denn die eigentlichen Prozesse, Strukturen und Ursachen sind, die zur Verarmung führen und die es nicht weniger dringlich anzupacken gilt?


MITLEIDBESESSENHEIT ÜBERSIEHT GRAVIERENDE FEHLENTWICKLUNGEN

Hilfsorganisationen sind einem Hang zur Parzellierung in der Problemschau ausgesetzt, einer Flucht in eine Art Idyll der Barmherzigkeit in der fernen Fremde – eine Flucht vor der problembezogenen Herausforderung hier und heute. Interdependente Entwicklungen werden hilfsbesessen ausgeblendet – insbesondere längerfristig nur beobachtbare Interdependenzen zwischen innergesellschaftlichen Herausforderungen und solchen externer Art. Hier rächt sich der Makel eines von politischer Bewegung und Kräften der Armen und Rechtlosen im Norden losgelösten Helfersyndroms.

Das führt zu absonderlichen, kontraproduktiven, dem Gedanken der Entwicklungspolitik im Kontext eines weltweiten Bemühens um Gerechtigkeit, Frieden und Erhaltung der Schöpfung in ihrer Vielfalt zuwiderlaufenden Haltungen, das führt nicht zu von der Bevölkerung getragenen Handlungen und damit zu von ihnen abgelehnten Ergebnissen mit daraus resultierendem Konfliktpotential. Beispiele:

NROs „importieren“ lieber „arme“ Kinder aus der Dritten Welt – gerne demographisch begründet - ,anstatt mit einem alternativen Einsatz der dafür aufgewandten Mittel hier für eine kinderfreundlichere Gesellschaft einzutreten.

NROs importieren“ lieber illegale Arbeitskräfte statt - im Interesse einheimischer Arbeitskräfte und im Hinblick auf ein auch für die Entwicklungsleistungen kräftiges Steueraufkommen – statt dem Lohndumping und der Schwarzarbeit entgegenzutreten. Auch hier sind die im Zusammenhang solcher „Importe“ beanspruchten Ressourcen effizienter einsetzbar – zu beider Seiten Nutzen.

NROs beklagen lieber das an den zum Schutze ihrer kleinen afrikanischen Enklaven scharfkantigen Absperrungen der Spanier von den Eindringlingen weitgehend sich selbst zugefügte Blutvergießen, statt wirksam für eine Entwicklungspolitik einzutreten, die Schlepperbanden das kriminelle Handwerk legt und maßloser Emigration ein Ende setzt.

Wenn mit einem Versprechen des Eintrittes der Türkei als Vollmitglied der EU das europäische Interesse und die Idee der EU als eines künftigen globalen Players nicht der Imitation der USA, sondern einer alternativ orientierten Macht des Friedens und der Gerechtigkeit untergraben wurde, haben auch NROs, die die Nichtfremdenfeindlichkeit meinen gepachtet zu haben, an diesem Niedergang ethisch motivierten Ringens um künftige globale Politiken und Strukturen Mitschuld - allein durch ihr „Mitleid“ am falschen Platze.

NROs wollen Hilfe zur Selbsthilfe. Dazu müssen sie selbst erst einmal (über-)leben. Dazu entfachen sie eine breite PR-Arbeit, deshalb wollen sie ein breites Publikum erreichen. Sie wollen anrühren. Sie wollen Mitleid, sie wollen Geld und Sachspenden. Sie behaupten dabei, den Bürgern die (Dritte) Welt näher zu bringen, zu erklären, wo die Not am meisten drückt, ja zum Himmel schreit.

Die Aufklärung über das, was Dritte Welt wirklich ist, worunter sie strukturell leidet, was sie langfristig wirklich braucht, bleibt dabei allzu leicht auf der Strecke. Katastrophenbilder sind willkommen – aber eine Diskussion über Warum, Wie und Wozu wird als Dolchstoß der Nichtzupackenden, der Nörgler, der Herzlosen in ihrer satten Heimat gegenüber den Kämpfern an der Armutsfront gebrandmarkt. Patenkind per Mausklick unter den Weihnachtsbaum – „effizienter“ geht’s nicht, auch wenn dafür so manches Kind auf „a-soziale“, entwicklungspolitisch unsinnige Weise aus Familien herausgerissen werden müsse.

NROs publizieren viele Handzettel, Anzeigen, Broschüren – ja einen nicht mehr überschaubaren „Blätterwald“. Was unterscheidet diese „Gazetten“ in ihrer Funktion von ebenfalls kostenlosen allgemeinen Anzeigenblättern, denen man vorwirft, dass sie die Zeitungslandschaft, die Freiheit und Unabhängigkeit der Medien gefährlich verschmutzen? Was als einzigartiger Beitrag zur öffentlichen Diskussion suggeriert wird, entpuppt sich als das Gegenteil - fast kartellhaft betrieben.

Der entwicklungspolitische Diskurs wird dadurch aber langweilig und öde , hingegen haben Magazine und Fachzeitschriften, die nicht ohne Abonnementsgebühren oder ohne Einzelverkauf auskommen können und auch wollen, keine ernsthafte Chance auf den von Gratiszusendungen überquellenden Schreibtischen. Der von unabhängiger Seite erhobene Anspruch auf Analyse und Kritik entwicklungspolitischen Handelns, ja bereits der Anspruch auf offenen Diskurs verunsichert die NROs, manche zutiefst. Diese Institutionen lassen in ihrer letztlich patriarchalisch motivierten, oft fast aggressiv daherkommenden Hilfsgesinnung Attitüden der Abwehr, Ignoranz , zuweilen gar Arroganz aufkeimen. Dem Kern innovativer Partizipation des Bürgers als nachhaltige Basis solidarischen Denkens und Handelns laufen sie somit zuwider.

NRO treten mit hohem ethischen Anspruch auf, der ihnen so manche Vorschusslorbeeren per se einträgt. Das Zertifikat in solchem Glanze könnte ihnen den Blick verstellen, nämlich dafür, dass die gute Absicht, die feste Überzeugung, der rechte Glaube, der beste Wille, etwas Gutes zu tun, zwar nicht intentional, so doch funktional mit einem Mangel an Wahrhaftigkeit angesichts der Komplexität der Entwicklungspolitik einhergehen könne.

„Wem gehört die Welt?“ hat ein deutsches Hilfswerk vor kurzem seine Fastenaktion, mutig finde ich, als entwicklungspolitische Kritik an den Mächtigen, betitelt. Aber, so frage ich, wem gehört die Entwicklungspolitik? Manche NRO scheint die Dritte Welt als ihre Domäne, als ihre Hilfskolonie, als von ihr helfend vereinnahmtes Terrain zu betrachten. Ist etwa mit einigen NRO der Bock zum Gärtner gemacht worden, treibt so mancher Wolf im Schafspelz seinen Beutezug unter dem Deckmantel der Mildtätigkeit?


II


DIE MEDIEN - SIE LIEBEN KATASTROPHEN UND KULINARISCHES;
HORROR UND HILFSAPPELLEE

Ich bin damit längst bei meinem zweiten Punkt, den Medien, insbesondere den Groß- bzw. Massenmedien .Auch sie sind leider nicht die besten Bundesgenossen bei der Etablierung eines öffentlichen Diskurses – eines einem emanzipierten Politikfeld angemessenen und von ihm auch benötigten - öffentlichen Diskurses.

Medien bevorzugen Horror, Kräche, Kriege, Katastrophen, Elend, Caritas, Kurioses und appetitlich Kulinarisches, Abenteuer und Aktualität, das grelle, schnelle, laute Bild; sie zielen auf hohe Einschaltquoten und große Auflagen, auf Blickfang und Tratsch, auf Nähe zur Macht .Die Nord-Süd-Problemstellung und die Sorgen der Stimmlosen und Ohnmächtigen sind hingegen hintergründig struktureller Art; sie sind Gegenstand eher langfristiger, leiser Prozesse, nicht von Events, Highlights und Stars. Fundierte Berichterstattung erfordern teure kompetente Korrespondenten fern der Zentralen, längere Vorbereitungs- und Sendezeit, weltoffene Redakteure hier, also auch eine problemadäquate Aufnahme und Einpassung in die Präsentation hier, ohne die alle Forderungen einfach nach mehr „Information“ in den Medien über die Dritte Welt keinen aufklärenden Sinn machen.

Mögen die Medien noch so wirkungsvoll zum Spenden in Katastrophenlagen und bei Hungersnöten bewegen, sie verstärken damit die „falschen“ Bilder, sie bestätigen verzerrte Sichtweisen und - daraus abgeleitet – „legitimieren“ sie das Fehlverhalten der „Reichen“ dieser Welt .Ihren unabhängigen Medienauftrag verfehlen sie hingegen.

NROs meinen deshalb, die Medien ebenso korrigierend wie bereichernd mit Dritte Welt-Sendungen bestücken zu müssen, deren Kosten sie auch evtl. tragen, die sie ggf. selbst herstellen – lassen. Der Zuschauer, der davon erfährt, reagiert hierauf aber ebenso misstrauisch wie auf das Product placement in „unabhängigen“ Sendeformen. Ein Vertrauensverlust in die Seriosität dessen, was aus den fernen armen Ländern zu uns dringt,
ist fatale Folge.

Die Unsitte der NROs, illustre TV-Moderatoren als Konterfei für ihre PR-Arbeit zu gewinnen, geht in die gleiche falsche Richtung. Nimmt diese Unsitte doch der - von der gleichen Person im Medium präsentierten - Berichterstattung und Kritik an der Entwicklungspolitik und den involvierten Organisationen die Chance der Glaubwürdigkeit – selbst wenn das dem Vorgang innewohnende Geschmäckle, hier verdiene einer nur auf Grund seiner herausragenden Stellung (und deshalb bereits unverschämt hohen Bezahlung) auch noch ein Zubrot auf Kosten der Armen , unbegründet wäre. Aber eine von den NRO bezahlte Reise in den Süden springt ja allemal für den TV-Redakteur dabei heraus – man muss ja vor Ort gewesen sein, um danach im Zweifel nur das zu „wissen“, was man sich zuvor schon eingebildet hat.

Dabei hätten die NROs durchaus die Chance zur Qualifizierung der Medien im entwicklungspolitischen Sinne beizutragen. Gerade sehr kritisch ausgetragene Kontroversen können zu einem Event werden, das die Großmedien aufgreifen. Wo bleibt hier die mutig provozierend-innovative Diskursbelebung seitens der NRO? Auch hier sind sie sich selbst im Wege (7), wenn die NRO zwar gelegentlich in kurzatmigen Steilvorlagen kritisch und auch politisch fordernd die Stimme erheben, aber bei dominierender PR-Absicht das ihrem Votum innewohnende Diskurspotential wieder zur Strecke bringen. „Fair play for fair life“ titelt gerade Brot für die Welt seinen Werbespruch - unterlegt vom Bild eines Fußballspieles, an dem natürlich viele Afrikaner teilnehmen. Welches reale Leben hat man im Blick, wenn der öffentliche Diskurs als einem zentralen Feld entwicklungspolitischen „ Spiels“ da mit roter Karte wohl dem „fair life“ außen vor bleibt?


III


ENTWICKLUNGSPOLITISCHE BILDUNG – NICHT FEUERN AUF ZIELGRUPPEN, SONDERN NUR ALS SUBJEKTLEISTUNG VON WERT

Eine der politischen Elemente entwicklungspolitischen Handelns, die gutgemeint, bisweilen naiv, werbend beschönt wie auch ablenkend postuliert werden, ist die sog. Bildungsarbeit zu Nord-Süd vielfältigster Betitelungen in den Geberländern - weit über den Schulbereich hinaus. Ich habe Ende der 60 er v.a. mit einer aufsehenerregenden Schulbuchstudie(8) vom Entwicklungsministerium aus Konzept und Initiative zu einer solchen Entwicklungsarbeit „Inland“ entwickelt , wie ich eingangs erwähnte,– mit einem allerdings fast total anderem Ansatz, als die NROs später dem Postulat für sie Nützliches zugestanden. Ein aufschlussreicher, vieles anregender und auch bewegender Prozess, dessen unerfreuliche, von Trittbrettfahrern herbei geführte Konsequenzen auch die Fundierung durch den von mir veranlassten, ersten großen und bereits mitteleuropäischen Kongress zu „Schule und Dritte Welt“ 1970 in Wien(9) nicht Einhalt gebieten konnte.


Nur eine Anmerkung zur Bildung, weil sie den Zusammenhang mit der anzustrebenden, von mir für so wichtig erklärten Autonomie des Bürgers im seinem Verhältnis zu den „NROs“ und zu den Medien unterstreicht:
Die gängige Formulierung „Bildung“ „für“ oder „zu“ lässt erkennen, dass hier Formung, Beeinflussung gemeint ist, praktiziert als Belehrung und Bekehrung - womöglich in moralischer Absicht, unter Bildung nicht aber Selbstermächtigung, Selbstbestimmung, Selbstaneignung verstanden wird. Verstehen und Lernen als Aneignung von bislang fremden Wissen, nicht Verstandenem, bislang nicht beherrschten Fertigkeiten sind unverwechselbare Subjektleistungen. Sie können von Dritten allenfalls erbeten oder abgefordert, nicht aber erzwungen werden(10) – auch nicht mit noch so attraktiver „Hinführung“, wie die meisten Bildungsprojekte fälschlicher Weise glauben machen wollen.

Dazu eine gar nicht kuriose Randbeobachtung: Neuerdings lassen die Hilfswerke in immer mehr Schulen ziemlich großangelegte Spendensammlungen veranstalten, die den Schülern obliegen. Ist das nicht in den meisten Fällen nichts anderes als der „Groschen“ in den armen Nickneger früher am Kirchenausgang?

Es hätte mich natürlich gereizt, die mir gestellte Thematik einmal an entwicklungspolitischen Aufgabenstellungen i.e.S. zu entfalten, was aber auf ein völlig anderes Referat hinausgelaufen wäre. Gestatten Sie mir nur eine Anmerkung zum sehr grundsätzlichen Verständnis von Entwicklungspolitik im Kontext künftiger Gestaltung, die notwendigerweise globaler Ausrichtung bedarf.

Entwicklungspolitische NROs, das von ihnen mit ausgelöste Interesse an der Ungleichheit – ich ziehe das Wort Ungerechtigkeit vor – und die hiermit befassten Medien fokusieren aus bereits angedeuteten, z.T. ihren „Systemen“ immanenten Gründen und Motiven die Nord-Süd-Konfiguration auf die „Armutsschiene“, die ihre Parallelen und Einbettung in Vorstellungen von Nachfolgen, Imitieren, Aufholen und Wachstum findet.

Ich habe mich gründlich mit der Gefahr romantisierenderer Vorstellungen von Armut auseinandergesetzt, bin aber mit Wolfgang Sachs, den ich zur ebenso tiefschürfenden wie aufwühlenden „Archäologie der Entwicklungsidee“ (11) ermuntert habe, der Auffassung, dass die sackgassenartige Überforderung der Entwicklungspolitik vom Norden selbst verschuldet ist, weil der Okzidentzentrismus das Andere nur als das Arme, das Zurückgebliebene, das Hilfsbedürftige begreift und damit schlicht nicht versteht.

Der Schweizer-deutsche Film „Die Höhle des gelben Hundes“ beschreibt in liebevoller, einfühlsamer, aber auch in genügend distanziert-reflektiver Weise die Fülle des Lebens einer mongolischen Nomadenfamilie – also einer wahrhaft ausgereiften Kultur, die vielen Menschen in großen Teilen unserer Erde unter schwierigen natürlichen Bedingungen ein doch großartiges (Über-)Leben ermöglicht. In einem Filmbegleitmaterial wird das in der „Unsprache“ der Entwicklungsapostel leicht verächtlich zu einer bedauernswerten Gesellschaft verkehrt und degradiert, weil sie zu mehr als 50% unterhalb der Armutsgrenze ihr Leben friste– also, so wird man fühlen und folgern, dringend der helfenden Intervention bedürfe. Welch enger verarmter Blickwinkel, falsch mitleidig, zugleich ignorant, wenn nicht gar arrogant-intolerant!

Die Vielfalt der unterschiedlichen Antworten auf unserer Erde auf die Existenzfrage, wie und wozu Menschen zusammenleben, ist ein ungeheuerer unentbehrlicher Reichtum, den zu erkennen und zu fördern nicht nur der Sinn für Respekt, Toleranz und auch Schönheit gebietet, sondern ein Reichtum, der auch die einzig tragfähige Grundlage künftigen erträglichen globalen Miteinanders bietet.

Wir brauchen anstelle einer ruinösen , gar noch entwicklungspolitisch „verordneten“ Aufholjagd und eines falschen Wettbewerbes einen globalen Solidarpakt, der allen gleiche Rechte der Entfaltung bietet (was auch Verzichtserklärungen der „Reichen“ einzuschließen hätte), einen Pakt, der aber zugleich das Miteinander zu unterschiedlichen, oft schutzbedürftigen Ausformungen der Lebensbewältigung mit daraus resultierenden unterschiedlichen i.e. S. ökonomischen „Niveaus“ und Veränderungsgeschwindigkeiten zur Kultur der Menschheit werden lässt.

Dieser, einzelne Politiken übergreifende Gesamtansatz lässt sich wohl nur durch eine demokratische Verortung, durch einen öffentlichen Diskurs anstreben, der die Menschen in all ihren Lebensbereichen berühren, erfassen, konsensorientiert beteiligen muss, womit ich zusammenfassend auf die inhaltliche Mitte meiner Ausführungen zurückkomme.


ZUSAMMENFASSUNG:
JAHRZEHNTE STRUKTURPOLITISCHEN KAMPFES UM DISKURS (12)


Ich habe bisher kaum meine Sie möglicherweise besonders interessierenden Erfahrungen mit dem Diskursblatt „Zeitschrift Entwicklungspolitik“ explizit eingebracht, nicht die lernrelevanten Tiefen und Höhen, Visionen und Krisen, Bedrohungen und Kämpfe geschildert. Das kann ich auch jetzt nicht mehr in meinem Vortrag nachholen. Entnehmen Sie bitte aus meinen abschließenden Thesen zwischen den Zeilen, was in mehr als drei Jahrzehnten des Arbeitens am entwicklungspolitischen Diskurs betrieben, erlebt, erleidet und wie er erstritten wurde.

1.Wir brauchen die Vision einer unabhängigen öffentlichen Debatte – weltoffen für Fragen der Zukunft unsere nationalen Gesellschaft, Europas und der „Weltgemeinschaft“ unter besonderer Berücksichtigung der Länder des „Südens“, d.h. des Schicksals der unter Ungerechtigkeit Leidenden. Dies ist der innovative Ausgangspunkt der Zeitschrift, mit dieser Zielperspektive habe ich dies Zeitschrift aus der Kraft der Reformkräfte z.B. im Umfeld der APO mit Rückenwind aus der protestantisch-christlich-orthodoxen Ökumene konzeptionell kreiert und kämpferisch aufzubauen versucht – allerdings weitgehend allein gelassen oder gar bekämpft auch von kirchlichen Kräften.

2. Ein unabhängiger, ständiger, kritikwilliger und der Kritik fähiger Ort des Diskurses bedarf der Kompetenz und der von ihm ausgehenden Herausforderung aus der spannungsreichen Kommunikation von Entwicklungspraxis, Politik und Wissenschaft (13).

3. Ein solcher Ort bedarf aufgabengerechter institutioneller und finanzieller Ausstattung - vergleichbar mit der Schaffung des Unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks/Fernsehens in Deutschland. Im Hinblick auf eine ausreichende finanzielle Kapazität ebenso wie schlagkräftige Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit muss die Herausgeberschaft von möglichst allen zum Diskurs verpflichteten gesellschaftlichen Kräften getragen werden.

Auf dem Wege dazu hatte ich der „Gesellschaft“ einiges abzuringen– mich jeder Vereinnahmung wie Versuchen der Vernichtung erwehrend: den Protestanten wie Katholiken eine auf das Segment der Entwicklungspolitik bezogene Art Augsburger Religionsfrieden; v.a. den Katholiken die erste verbriefte Ökumene nach fast 500 Jahren seit Luther und den christlichen Einrichtungen die Bereitschaft zur Koalition mit den anderen gesellschaftlichen Institutionen. Leider konnte ich die noch ausstehende Beteiligung auch gewerkschaftlicher und privatwirtschaftlicher Kräfte nicht mehr durchsetzen, auch wenn diese herausragend wichtigen Teile unserer Gesellschaft von mir mehrfach fallbezogen mobilisiert worden waren.

Ich unterstreiche die bedeutende, die bewegende Rolle des öffentlichen Diskurses und des Erstreitens auch seiner konkreten medial-institutionellen Ausformung .Zeige mir Deine periodische entwicklungspolitische Publizistik - und ich weiß, wo die Entwicklungspolitik deines Landes angekommen ist.

In einer Zeit des Neoliberalismus und seiner Zerstörung v.a. der Gemeinschaften solidarischer Qualität und des Ethos des Solidarischen insgesamt rufe ich Ihnen Mut zu, auf die Kraft des „Entwicklungsfaktors“ Solidarität zu setzen, beginnend in Ihrem persönlichen und gesellschaftlichen Umfeld.

Wer fährt heute nicht mit dem Wörtchen „fair“ sein Gespann, seine Kampagne, seine Politik – besonders in Deutschland, wo die Vorsilbe „ver“ dazu wie geschaffen ist ?

Begegnen Sie dieser Entwertung eines originellen Spieles mit Sprache als Folge inflationären Gebrauches,

entgegnen Sie dem falschen Reden in der Entwicklungspolitik,

fordern Sie fair news oder schlicht und einfach Wahrheit !




Fußnoten:
(1) Der Verfasser ist Diplom-Volkswirt und Soziologe. Nach und neben Tätigkeiten in der Entwicklungsländerforschung und im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat er v.a. die“ Zeitschrift Entwicklungspolitik“ und deren ökumenischen und darüber hinaus erweiterten Herausgeberkreis aufgebaut. Bis 2005 ist er deren Chefredakteur gewesen. Schade wurde viermal von Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland der „ Medienpreis Entwicklungspolitik“ zuerkannt.
(2) Leicht überarbeitete Fassung eines Vortrages in Praha am 3.11.05
(3) Senghaas, Dieter, Von Europa lernen – Entwicklungspolitische Betrachtungen, Frankfurt 1982
(4) Vgl. dazu den recht passenden Beitrag: Brunkhorst, Hauke, Anteil der Moral an der Menschwerdung des Affen – Jürgen Habermas` Theorie des kommunikativen Handelns, in: Frankfurter Rundschau 13.3.82

(5) Aber auch in Richtung der UNO, vgl. z.B. die Beschlüsse zu „New Economic Order“ und „New Information Order“

(6) Hier wäre noch Einiges illustrativ zu differenzieren, z.B. die Einordnung der sog.(Entwicklungs-)Politischen Stiftungen der Parteien in Deutschland

(7) Man sehe sich dazu einmal den deutschen Prozess zur Bildung eines Dialogforums zu MDG und seine Zusammensetzung an – eine kaum zu übertreffende Karikatur einer angeblich dialogischen Bearbeitung einer wichtigen Aufgabenstellung, die erst im Für und Wider seine entwicklungspolitische Reife erfahren kann.

(8) Dazu Fohrbeck, Karla, Wiesand, Andreas, Dritte Welt im Schulbuch, in:Meueler, Erhard, Schade, K. Fiedrich (Hg.) Dritte Welt in den Medien der Schule, Stuttgart und Bonn 1977

(9) Wiener Institut für Entwicklungsfragen, Schule und Dritte Welt – Regionalkonferenz, Wien 1970

(10) Meueler, Erhard, Nachhaltige Entwicklung oder Segeln im Wind, 2005

(11) Schade, K. Friedrich (Hrsg.) Wolfgang Sachs` „Zur Archäologie der Entwicklungsidee“, Frankfurt/Main 1992

(12) In diesem Referat ist kein Raum, auf einen interessanten Versuch der Qualifizierung des Diskurses im Norden und seiner Medien durch eine stärkere Hineinnahme von – zum Teil bereits von professionellen Nachrichtenagenturen angebotenen – Stimmen aus der Dritten Welt einzugehen. Die Zeitschrift Entwicklungspolitik hat hier einige strukturpolitische Innovationen herbeigeführt ( zum transfer of power siehe auch Fußnote 5 )Wenig hilfreich hierzu:Anand, Anita, Alternative Media: Creating a stir, in:Development 2/2005, Rom

(13) Dies ist mir nicht schwer gefallen, hatte ich doch bereits in und nach dem Studium eine große Nähe zur Wissenschaft aufgebaut und mich früh wissenschaftspolitisch engagiert..
(14) Einen zukunftsorientierten Rückblick auf diesen „Kampf“ gibt der Autor in dem knappen Aufsatz : K. Friedrich Schade, Soviel Anfang wie nie – Das Ceterum Censeo des „Appells zum Ausbau entwicklungspolitischer Publizistik“, in: Zeitschrift Entwicklungspolitik 23/24/2004, Frankfurt/Main. Ausführlicher in : Schade, K.Friedrich,(Hg), Erleuchtend oder ausgebrannt? Journalismus zu Nord-Süd in Bilanz und Perspektive, Frankfurt/Main 2001
(15) Zur Gesamtthematik „Qualitätsjournalismus in der Krise“ ausgezeichnet die Schwerpunktausgabe von „vorgänge“ – Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, 169(2005), Wiesbaden

 

 
 
 
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